"Ursachen und Folgen des Kosovo-Krieges"
07. Dez 1999
Joachim Garsteckic/o Pax Christi/Deutsche Sektion
Postfach 1345
61103 Bad Vilbel
1. Pax Christi zum Kosovo-Krieg
(1) Die deutsche Sektion von Pax Christi hat in ihrer GV-Stellungnahme vom 29. März 1999 "den sofortigen Stop aller Kriegshandlungen" gefordert. "Auch wenn die Hauptverantwortung für die Eskalation des Konfliktes eindeutig der jugoslawischen Führung anzulasten ist", kann das militärische Vorgehen der NATO nicht gerechtfertigt werden. Es droht eine Internationalisierung des Krieges.
(2) Nach vier Wochen Bombenkrieg kommen wir zu dem Schluß: Die Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO hat sich als ungeeignetes Mittel erwiesen, die Verbrechen gegen die Kosovo-Albaner zu beenden. Der Bombenkrieg ist unverhältnismäßig, weil er zerstört, was er zu schützen vorgibt. Nach sechs Wochen ist unübersehbar: Dieser Krieg hat seinen politischen Zweck verfehlt. Seine Fortsetzung blockiert alle Versuche, unter Beteiligung der VN und Rußlands zu einer politischen Verständigung zwischen den Kriegsgegnern zu gelangen. Es muß deshalb nach Auffassung von Pax Christi ein vorangiges Interesse der deutschen Bundesregierung und EU-Ratspräsidentschaft sein, durch einen ggf. einseitigen Waffenstillstand die Eskalation des Militärischen zu unterbrechen und die Wiederaufnahme von Verhandlungen für eine politische Lösung der Kosovo-Krise zu ermöglichen.
(3) Die im Augenblick drängendste Aufgabe besteht darin, Hundertausende von Flüchtlingen und Vertriebenen im Kosovo selbst und in den angrenzenden Gebieten mit dem zum Überleben Notwendigen zu versorgen. Die Lage der Flüchtlinge und Vertriebenen wird von Tag zu Tag auswegloser und droht außer Kontrolle zu geraten.Wer durch militärische Aktivitäten zur Verhinderung eines Völkermords ein nicht kalkuliertes und in seinen Ausmaßen nicht mehr beherrschbares Flüchtlingsproblem provoziert, ist verpflichtet, schnell die notwendigen humanitären Hilfen zu seiner Bewältigung zu organisieren. Allein schon aus diesem humanitären Grund müssen die Bombardements der NATO umgehend ausgesetzt werden. Die militärische Logistik der NATO muß in den Dienst der Opfer gestellt werden, statt ständig neue Opfer in Kauf zu nehmen. Das kann allerdings bedeuten, humanitäre Schutzzonen und Korridore zur Evakuierung wehrloser Zivilisten einrichten zu müssen.
(4) Opfer des Krieges sind nicht allein die Kosovo-Albaner, die nach den NATO-Luftschlägen gesteigerten systematischen Vertreibungen und schrecklichen Verbrechen durch serbische Militär- und Polizeikräfte ausgesetzt sind. Täglich sterben auch in Serbien Menschen durch Bomben und Raketen der NATO, wird die Infrastruktur des Landes und seine Zukunft systematisch zerstört. Serben und Kosovo-Albaner werden unterschiedslos, wenn auch auf sehr verschiedene Weise zu Geiseln dieses Krieges gemacht. Die deutsche Öffentlichkeit sollte nach fast sechs Wochen erkennen, daß das menschliche Leid der Opfer des Krieges in Serbien und Montenegro ebenso Aufmerksamkeit und Solidarität verdient wie das der Albaner im Kosovo. Spendenaktionen sollten so organisiert werden, daß sie auch die serbischen Kriegsopfer einbeziehen. Wir dürfen die Absurdität der ethnischen Spaltung der jugoslawischen Gesellschaft durch das "Vergessen" der Opfer in Serbien nicht noch ungewollt vertiefen.
(5) Die Zivilisierung der Konflikte begann historisch mit der Humanisierung des Krieges durch das Recht. Im Kosovo-Krieg erleben wir auf jugoslawischer Seite die Mißachtung der Menschenrechte durch Verbrechen gegen die Menschlichkeit, auf NATO-Seite die Mißachtung des Völkerrechts durch Selbst-Mandatierung zur Kriegsführung. Beides hat das Vertrauen in die Fähigkeit des Rechts zur Konfliktbeilegung tief erschüttert und die dafür zuständigen Institutionen der VN und der OSZE weiter geschwächt. Es ist offenkundig, daß schwere Menschenrechtsverletzungen und Völkermord vom geltenden Völkerrecht noch nicht im notwendigen Ausmaß als Gründe für humanitäre Interventionen akzeptiert sind. Ebenso offenkundig ist aber auch, daß die Entscheidung über solche Interventionen strikt an eine universale Autorität wie die VN gebunden sein muß - und nicht an eine partikulare wie die NATO - , um die Inanspruchnahme des Menschenrechts-Arguments für beliebige Zwecke zu verhindern.
(6) Der Kosovo-Krieg und die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland als Kriegspartei bedeuten einen empfindlichen Rückschlag für die Chancen ziviler Friedenspolitik. Ansätze und Projekte ziviler Konfliktbearbeitung, die von Pax Christi und anderen Organisationen in den letzten Jahren in Bosnien, Serbien Kroatien und im Kosovo entwickelt und erprobt worden sind, wurden durch den Kosovo-Krieg jäh beendet bzw. sind ernsthaft gefährdet. Zivile Friedensdienste in nicht-staatlicher Trägerschaft sind nach unserer Auffassung eine notwendige Konsequenz aus der Einsicht, daß wirklicher Frieden nur mit zivilen, gewaltfreien Mitteln gewonnen werden kann. Wir erwarten von der Bundesregierung und von Bündnis 90/Die Grünen, daß sie die strukturellen und finanziellen Rahmenbedingungen für zivile Friedensdienste verbessern und zivile Konfliktbearbeitung als wichtige politische Zukunftsaufgabe aktiv fördern.
2. Zur Diskussionslage in Pax Christi
Der Kosovo-Krieg ist ein zentrales Thema in Pax Christi, weil er einerseits die strikt gewaltfreie Haltung sehr vieler Mitglieder direkt herausfordert und weil er andererseits programmatische Positionen von Pax Christi für eine zivile Friedenspolitik unmittelbar berührt. In sehr vielen Gruppen und Gremien von Pax Christi wird intensiv diskutiert, was dieser Krieg für uns als christliche Friedesbewegung bedeutet und wir wir uns zu ihm verhalten sollen. Dabei ist, soweit ich sehen kann, die Kritik am Luftkrieg der NATO und seiner eskalationsträchtigen Eigendynamik weitestgehender Konsens. GV und eine Reihe von Pax-Christi-Gruppen haben sich in diesem Sinn öffentlich geäußert. Es gibt eine Postkartenaktion an die Adresse des Bundesaußenministers gegen die deutsche Beteiligung an den NATO-Bombardements. Das Programm des Pax-Christi-Kongresses am kommenden Wochenende ist aktuell um das Thema Kosovo-Krieg erweitert worden.
Wieweit die mit dem Kosovo-Krieg neu gestellte Grundsatzfrage nach dem Verhältnis von völkerrechtlichem Gewaltverbot und aktivem Menschenrechtsschutz in Pax Christi thematisiert wird, läßt sich schwer beurteilen. Unverkennbar ist eine große Zurückhaltung, diese Frage öffentlich kontrovers zu diskutieren. Vor dem Hintergrund der intensiven Pazifismusdebatte in Pax Christi 1995/96 verstehe ich diese Zurückhaltung als Ausdruck einer bewegungspolitischen Vorsicht, auf dem dünnen Eis einer mühsam erreichten Verständigung nicht erneut einzubrechen. Das Vertrauen in die Tragfähigkeit anti-interventionistischer Beschlüsse von Pax Christi ist entsprechend groß; fortbestehende Meinungsunterschiede in dieser Frage werden durch die programmatische Ausrichtung der Arbeit auf den Schwerpunkt zivile Konfliktbearbeitung überbrückt. Ich sehe darin einen klugen Pragmatismus im Umgang mit einem Konflikt, der selbstverständlich auch an Pax Christi nicht spurlos vorübergeht, der aber auch dazu führt, daß wir wichtige Fragen im Moment nicht diskutieren.
3. Das Verhältnis von Pax Christi zu Bündnis 90/Die Grünen
Hierbei handelt es sich, genau genommen, eher um ein Nicht-Verhältnis, weil Pax Christi grundsätzlich Distanz zu politischen Parteien hält, ungeachtet vieler gemeinsamer Überzeugungen mit den Bündnis-Grünen aus der Zeit der Friedensbewegung in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Zu diesen Überzeugungen gehört die Verpflichtung auf eine zivile Friedenspolitik. Viele Pax-Christi-Mitglieder dürften die Haltung der Mehrheit der grünen Bundestagsfraktion zum Kosovo-Krieg und zur deutschen Beteiligung an ihm aus prinzipiellen Erwägungen ablehnen, wobei die Skala von "Kritik" bis "Verrat" reichen dürfte. Aber eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Positionen der Bündnis-Grünnen und ihren Begründungen findet nach meiner Kenntnis nicht statt. Das mag man bedauern; schließlich waren Bündnis 90/Die Grünen und Pax Christi 1995/96 die einzigen Gruppierungen, die die Folgen von Srebrenica offen und heftig kontrovers diskutiert haben.
Meine persönliche Auffassung zur internen bündnis-grünen Diskussionslage angesichts des Kosovo-Krieges habe ich kürzlich in einem Beitrag für die Pax-Christi-Zeitschrift knapp formuliert. Ich meine, daß es eine grüne Illusion ist, beides zugleich haben zu wollen: die Mitwirkung an der Politik dieser Bundesregierung samt Mithaftung für ihre Bündnisverpflichtungen und eine Außenpolitik nach strikt pazifistischen Grundsätzen. Die Partei und ihre Basis konnten, ja mußten wissen, daß dieser Spagat bei den bestehenden Kräfteverhältnissen nicht gelingen konnte. Es konnte m.E. nach der Beteiligung an der Regierungsverantwortung im Herbst 1998 nur darum gehen, gewaltfreie Posititonen im Sinne von Schadensverhütung und Schadensbegrenzung zur Geltung zu bringen, nicht aber als durchgängiges Gestaltungsprinzip der Politik.
Mit dem Kosovo-Krieg wird dieses Minimal-Modell auf die denkbar härteste Probe gestellt, und das ist tragisch für die Partei und ihre Programmatik. Aber ich sehe nicht, wie die Grünen aus diesem Fegefeuer herauskommen ohne eine konsequente Fortsetzung jener schadensbegrenzenden Politik, die Joschka Fischer als Außenminister mit seinem Sechs-Punkte-Plan versucht hat. Es kann der grünen Basis nicht verborgen bleiben, daß Fischer wie kein anderer EU-Politiker permanent und mit gewissem Erfolg versucht, gegen den Automatismus der militärischen Eskalation eine politische Handlungsperspektive im Kosovo-Krieg zurückzugewinnen. Und das ist die einzige Alternative, die im Moment eine Wende hin zu einer für alle Seiten akzeptablen Lösung bewirken kann. Da Bündnis 90/Die Grünen keine pazifistische Bekenntnisbewegung sind, sondern eine politische Partei, werden sie dieser Alternative um den Preis des politischen Überlebens wohl oder übel folgen müssen.
1. Mai 1999